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Ausgabe 1

„Manchmal wird man als die kleine Maus an der Sideline wahrgenommen.“

Sena Kennedy und Sarina Löbig lieben ihren Sport, das Cheerleading. Doch in der Öffentlichkeit wird der Sport weiterhin belächelt. Dazu tragen sie notgedrungen auch selbst bei.

FotoS: Privat, Tom lorenz

Sena Kennedy und Sarina Löbig stehen an einem Foodtruck vor dem Stadion in Unterhaching an, da nähern sich ihnen zwei Männer. Ein Freund habe Geburtstag, sagen sie. „Er würde gerne mit euch Cheerleadern ein Bild machen.“ Die beiden Frauen schauen sich kurz unschlüssig an. Dann willigen sie ein. Das Foto zeigt die jungen Frauen mit Glitzersteinen in den Augenwinkeln, großer weißer Schleife im Haar und knappem schwarzem Kleid neben dem Mann, der grinst.
Das Bild reproduziert das, wofür Löbig und Kennedy eigentlich nicht stehen wollen: Sie sind Accessoires. Später erklärt Löbig: Wenn es die Fans glücklich macht, mache sie das gerne. „Aber ich finde es schade, dass der eigentliche Sport dadurch untergeht.“ In ihrer Gruppe, den Flames Allstars des TSV Haar, betreiben die Frauen einen anspruchsvollen Sport, den auch das Internationale Olympische Komitee seit 2021 als eigene Sportart anerkennt.

In Unterhaching jubelten Senna Kennedy (li.) und 
Sarina Löbig gemeinsam für die Munich Ravens.

Von Rückwärtssalto bis Hebefigur
Laut des Cheerleading und Cheerperformance Verband Deutschlands sind mehr als 30.000 Athlet*innen in 355 Vereinen in Deutschland aktiv – und es werden immer mehr: 2023 ist der Sportverband um 23 Prozent gewachsen. Löbig und Kennedy lieben die Vielseitigkeit ihres Sports – von Rückwärtssalto bis Tanzchoreografien ist alles inbegriffen. Man entwickle sich immer weiter, schwärmt Löbig, die seit 2017 Cheerleaderin ist.

Die beiden Frauen nehmen mit den Flames Allstars an nationalen und internationalen Wettkämpfen teil, zuletzt bei den Elite Cheerleading Championships in Bottrop, bei denen Teams aus ganz Europa antraten. Sie zeigen dort mehrstöckige Hebefiguren, Spagat und Handstand, Flickflacks und Stunts.

An der Sideline statt im Mittelpunkt
An der Sideline im Sportpark können sie an diesem Sonntag nur wenig davon zeigen. Die Augen der Zuschauer*innen ruhen auf den Footballern der Munich Ravens und der Prague Lions. In der Pause nach dem ersten Quarter wittern die Frauen ihre Chance, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Löbig ruft ihre Kolleginnen zusammen, blickt zu Kennedy und sagt: „Arabesque“. Auf ihr Kommando heben sie die 20-Jährige hoch. Kennedy streckt ihr Bein nach hinten und lächelt in die jubelnde Menge. Wenig später macht sie einen Flickflack parallel zur Seitenlinie.

Die Flames Allstars des TSV Haar meistern eine aufwendige Hebefigur bei den Deutschen Cheersport Meisterschaften.

Die meiste Zeit verschränken die 13 Sportlerinnen aber die Pompons hinter dem Rücken und warten, während sich die Footballer auf dem Feld rangeln. Etwa einmal pro Minute zeigen sie die immer gleiche Choreografie: Pompons hoch, Pompons runter, Pompons zur Seite. Die Bewegungen haben sie wenige Stunden vor dem Spiel eingeübt.
Denn die Frauen sind aus unterschiedlichen Teams ihres Vereins zusammengewürfelt. „In der Konstellation, wie wir hier sind, trainieren wir gar nicht“, erklärt Löbig. Die Munich Ravens fragen den Haarer Verein an, um das Football-Team zu unterstützen. Wer Zeit hat, kommt.

Dabei wollte Kennedy eigentlich nicht mehr an der Seitenlinie auftreten. Ihre Cheerleading-Karriere begann sie 2012 zwar bei den Erding Bulls, einem American Football-Verein. Aber sie sagt: „Ich wollte mehr gefordert und gepusht werden.“ Also wechselte sie zum Meisterschafts-Cheerleading bei ihrem heutigen Verein.
Dass sie an diesem Tag in Unterhaching wieder bei einem Football-Spiel tanzt, hat mit den Strukturen des Sports zu tun. „Cheerleading ist teuer“, erklärt Kennedy. Für die Auftritte an der Seitenlinie zahlen die Munich Ravens jeder Cheerleaderin eine Aufwandsentschädigung. Das Geld brauchen die Sportlerinnen, um damit Startgebühren, Vereinskleidung, Hotels und Zugtickets zu bezahlen.

Auch bei dieser Hebefigur strahlt Sena Kennedy.
Das Team feuert sich gegenseitig an, Sarina Löbig gibt alles.

Athletin statt Maus
Die einfachen Choreografien und Figuren, die die Frauen im Unterhachinger Stadion zeigen, trügen dazu bei, dass der Sport weiter belächelt werde, bedauern die beiden. Wenn sie vom Cheerleading erzählt, werde sie schnell auf die Pompons reduziert, sagt Löbig. „Das Klischee erfüllen wir heute. Das ist schade, weil die Leute gar nicht sehen können, was alles möglich ist.“ Auch Kennedy sagt: „Wir sind Athleten, aber manchmal wird man als die kleine Maus an der Sideline wahrgenommen.“
Die größte Chance am Sonntagnachmittag, immerhin einen Bruchteil ihres Könnens zu zeigen, ist die Halftime-Show. Doch ausgerechnet in der Pause prasselt plötzlich strömender Regen auf das Spielfeld. Kennedy und Löbig rennen mit ihren Kolleginnen trotzdem auf den Rasen. Doch nach nur wenigen Hebefiguren müssen sie ihre Show im Gewitterschauer abbrechen. Sie müssen zurück an die Seitenlinie des Sportevents – damit sie es sich demnächst wieder leisten können, selbst das Event zu sein.

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Ausgabe 1

Jubeljahre – Vom Hüpferchen zur durchgeplanten Choreo

Als im Jahr 1860 der FC Sheffield gegen den FC Hallam zum ersten offiziellen Männer-Fußballspiel antrat, war die Welt noch eine andere. 164 Jahre später hat sich vieles geändert – auch der Jubel der Spieler. Eine kleine Zeitreise.

1954:
„Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt“ –und dann folgt ein vierfacher Torschrei von Radioreporter Herbert Zimmermann. Das Zitat aus dem WM-Finale 1954 gehört vermutlich zu den bekanntesten Sprüchen der deutschen Sportgeschichte. Anders sieht es mit dem Jubel aus: Obwohl Rahn sechs Minuten vor dem Schlusspfiff den Siegtreffer erzielte, bestand der Jubel nur aus einer vergleichsweise unspektakulären Spielertraube. Immerhin: Nach dem Abpfiff gab es auch ein paar Freudensprünge.

1974:
20 Jahre nach Helmut Rahns Treffer ist nicht nur das Fernsehen farbenfroh, auch der Jubel des WM-Siegtorschützen Gerd Müller ist deutlich euphorischer. Ein Sprint, drei Sprünge in die Luft und hochgerissene Arme: Das 2:1 gegen die Niederlande, das Müller übrigens kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit erzielte, bedeutete den zweiten Weltmeistertitel für die deutsche Nationalmannschaft.

1990:
Nachdem Andreas Brehme den Elfmeter in die linke untere Ecke geschoben hatte, folgte noch schnell ein Jubelsprung, bevor er unter einer Traube von Spielern lag. Kurz vor Schluss führte Deutschland mit 1:0 gegen Argentinien, der dritte Weltmeistertitel stand kurz bevor. Und der Siegtorschütze? Der war unter den anderen Spielern fast gar nicht mehr zu sehen.

2010:
WM-Eröffnungsspiel in Südafrika, ein Pass in den Lauf des Südafrikaners Siphiwe Tshabalala, der den Ball annimmt und mit links in den rechten Winkel des mexikanischen Tores schießt. Was mindestens genauso stark in Erinnerung bleibt wie das Tor, ist der Torjubel: eine einstudierte Tanzeinlage, an der sich insgesamt fünf Spieler beteiligten. Es dürfte einer der Torjubel in einem WM-Eröffnungsspiel sein, der den Fans bis heute am stärksten in Erinnerung geblieben ist.

2014:
„Schürrle. Der kommt an. Mach ihn. Mach ihn. Er macht ihn!“ 60 Jahre nach Helmut Rahn und Herbert Zimmermann waren es Mario Götze als Torschütze und Tom Bartels als Kommentator, die dafür sorgten, dass das Tor zum 1:0 gegen Argentinien mehreren Millionen Fußballfans für immer in Erinnerung bleiben wird. Götzes Jubel, bei dem er nach der Spielertraube beide Arme zur Seite streckte und nach oben blickte, ging dabei schon fast unter – wird auf Social Media aber auch zehn Jahre nach dem Treffer noch unter den Posts von Götze gepostet.

2014, 2015, 2017:
Die Jubel werden extravaganter: Gleich mehrmals jubelte der Ex-Dortmunder Pierre-Emerick Aubameyang mit Masken, die er irgendwo in der Nähe des Spielfelds platziert hatte. Batman und Spiderman waren nur zwei Masken, die er den Fans präsentierte – und damit insbesondere während seiner Zeit bei Borussia Dortmund für Diskussionen sorgte.

2023:
Knierutscher, Wappenkuss, auf die Bande, Ohren zu, Wappen präsentieren, Buchstaben mit den Händen formen, Kugel formen, auf den eigenen Namen zeigen und am Ende nochmal den eigenen Mitspieler umarmen – Newcastles Bruno Guimaraes hatte nicht etwa zum entscheidenden Treffer im Champions League-Finale getroffen, sondern zum 4:1 gegen Brighton in der Premier League. Doch im Nachhinein stellte sich heraus: Der Multi-Jubel war nicht etwa seiner Selbstverliebtheit geschuldet. Guimaraes widmete den Jubel offenbar einem kranken Kind, das er kurz vor dem Spiel besucht hatte.

Dass sich der Männer-Fußball und die Jubel in den letzten Jahrzehnten verändert haben, ist nicht zu übersehen. Wo sich früher gemeinsam in der Mannschaft kurz abgeklatscht und umarmt wurde, werden heute Choreos vorgestellt. Aber warum ist das Ganze so? Sportwissenschaftler Andreas Tschorn vermutet in der Rheinischen Post (RP), dass die „größere mediale Aufmerksamkeit für den Sport damit zu tun haben könnte“. „Je mehr Fußball zum Geschäft und zur Show wurde, desto extravaganter wurde er [der Jubel] auch“, wird der Sportwissenschaftler weiter zitiert. Doch für Nostalgiker und Nostalgikerinnen gibt es laut dem Soziologen Uwe Wilkesmann Hoffnung: „Authentische Torjubel sind kein Relikt der Vergangenheit“, schreibt die RP diesbezüglich.
Aber ob Jubel jemals wieder so aussehen wie 1954? Vermutlich eher nicht. Und wer weiß, wie in 70 Jahren über die Jubel aus dem Jahr 2024 berichtet wird.

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Ausgabe 1

Unsere Jubel-Momente: Hurra, hui und heissassa! Darüber haben wir zuletzt gejubelt

Es ist Samstag, der 14. Mai 2016, letzter Bundesliga-Spieltag. In Bremen geht es um alles, als Werder im Weserstadion auf die Frankfurter Eintracht trifft. Beide Mannschaften können sich noch retten, beide können noch absteigen. Doch das kommt auf dem Platz offenbar nicht so ganz an. Lange plätschert das Spiel vor sich hin, als würde es um nichts mehr gehen – doch Bremen steht in diesem Moment auf dem Relegationsplatz; es droht der Abstieg in die zweite Liga.
Um 17:13 Uhr ist es aber so weit: 88. Minute, langer Ball in den Strafraum, Bremens Stürmer Ujah legt auf, Innenverteidiger Djilobodji drückt den Ball über die Linie, das Stadion explodiert. „Im Epizentrum, der Bremer Ostkurve, vermischen sich Hektoliter Bier in der Luft mit Tränen der Erleichterung. Ein Moment für die Ewigkeit”, schreibt das Fußball-Magazin 11 Freunde später – und liegt damit absolut richtig.
Von Bastian Bönisch

Stellt euch vor, euer Lieblingskünstler ist tot, und plötzlich ist ein neuer Song von ihm im Release-Radar. Kein Cover, kein Remix oder Ähnliches. Ein ganz neues Lied mit seiner Stimme. So war es am Freitag, dem 20. September 2019. Drei Jahre nach seinem Tod erscheint ein neuer Song von Leonard Cohen, The Goal. Mein Misstrauen war groß, ich googelte schnell und sah folgendes: Ein neues, posthumes Leonard Cohen-Album, das er vor seinem Tod noch aufnahm, wird erscheinen. Jubel.
Von Anton Dietzfelbinger

Das Konzertticket völlig spontan ergattert, während ich gerade bei Aldi an der Kasse stand. Unglaube, dass das da wirklich ein „Front of Stage”-Ticket ist, das ich plötzlich auf dem Handy habe. Monatelange Vorfreude. Am Konzerttag schon am Vormittag vor dem Stadion stehen. Mit anderen Fans connecten. Noch mehr Vorfreude. Warten, warten, warten. Einlass.
Plötzlicher Stress: Krieg ich den Platz an der Bühne, den ich mir gewünscht habe? Krieg ich. Die Vorband spielt. Pause. Ungeduld. Wann geht es endlich los? Jetzt. Er ist da. Harry Styles, der Musiker, den ich schon mit 13 verfolgt habe, plötzlich da, auf der Bühne, direkt vor mir, keine fünf Meter entfernt. Ich erschrecke kurz, weil da plötzlich dieser Typ ist, den ich sonst nur auf Bildschirmen und in weiter Entfernung sehe. Ja, er ist es wirklich. In einem blauen Glitzeroutfit. Euphorie. Mein 13-jähriges Ich könnte nicht glücklicher sein. Und wenn ich ehrlich bin, dann mein 24-jähriges Ich auch nicht.
Von Rebekka Barta

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Ausgabe 1

Alle Artikel aus Ausgabe 1

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Zwölfte Männer und Pompons

S. 8

S. 10


S. 13

S. 16

S. 18

Jubeljahre
Eine Zeitreise durch die Geschichte der Tor-Euphorie

“Manchmal wird man als die kleine Maus an der Sideline wahrgenommen.”
Zwei Cheerleaderinnen im Spotlight

Review: Was kann “Buenos Dias Argentina”?
Eine Musikanalyse mit Retro-Charme

Starting Five: DIE Trikots für deinen Sommer 24
Wie du von Sporty Spice zu Sporty Nice wirst

Kicken, Kichern, Kult
Mit Meme-Seiten über Frauenfußball in die Fankultur eintauchen

Im Moshpit

S. 22

S. 24

S. 26

S. 29

Ganz wichtig: weniger kreischen
F*ck the Patriarchy – Taylor’s Version

“Seid ihr gut drauf?”
Komm’ mit auf unsere liebsten Konzerte!

Midnights Mirrorball
Ich bin ein Swiftie – was zieh’ ich an?

Es. Ich. Lyrisches Ich.
Ein Fan im Zwiespalt zwischen Fantasie und Realität

Zwischen Watchlist und Bücherregal

S. 32

S. 36

S. 37

S. 40

Conventions, Community und Charakter-Tausch
Ein begeisterter Cosplayer im Interview

Film ab!
Drei Dokus für deine Watchlist

Stories that people actually read
A PhD student on her research about fanfiction

Begreifen, was uns ergreift
Das Fan-Dasein als Literaturfan

Und sonst so?

S. 44

S. 46

S. 47

S. 48

Sonnige Mutmacher gegen den Winterblues
Kampfansage an die saisonale Depression

Platz da, Großer!
Geste für Geste zur Gleicheberechtigung?

Nischig, aber nice
Was du bisher nicht kanntest, jetzt aber brauchst

Rätsel-Spaß
“Rate mal mit Rosenthal” war gestern, hier kommt “Kreuzworträtseln mit Kim”!

Außerdem in der Ausgabe

S. 2

S. 50

Unsere Jubel-Momente
Hurra, hui und heissassa! Darüber haben wir zuletzt gejubelt

Fun Facts: La-Ola-Welle
Wissenswertes zum Stimmmungsmacher

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Ausgabe 1

Ausgabe 1 ist da!

Juhu! Die erste Ausgabe der Jubel ist fertig und du kannst sie hier durchblättern, lesen und runterladen.

In dieser ersten Ausgabe erfährst du unter anderem, wie viel Arbeit hinter Meme-Seiten zu Fußballerinnen steckt, wie viel Handwerk Cosplay-Kostüme benötigen und was hinter dem Begriff „La-Ola-Welle“ steckt. Außerdem nehmen wir dich mit auf die Reise zum perfekten „Taylor-Outfit” und du kannst in einem Kreuzworträtsel zu Trends der vergangenen Monate dein Wissen testen.