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Ausgabe 1

Review: Was kann “Buenos Dias Argentina”?

Am 13. Januar 1978 landete das runde Vinyl im eckigen Cover. Kurz vor der Männer-Fußball-Weltmeisterschaft in Argentinien 1978 nahm es Udo Jürgens mit der damaligen deutschen Nationalmannschaft im Tonstudio auf. Größen wie Sepp Maier, Berti Vogts oder Karl-Heinz Rummenigge zeichneten mit dem Schlagersänger Tonspuren auf und heizten den Fans mit eigens komponierten Songtexten so richtig ein. Bereits in den ersten zwei Monaten verkaufte sich das Album über 150 Tausend Mal – Jürgens erhielt dafür eine Platin-Schallplatte. Insgesamt ging das Album sogar über 750 Tausend Mal über den Ladentisch.

Kurz vor dem zehnten Todestag von Udo Jürgens und passend zur diesjährigen Europameisterschaft in Deutschland ist der perfekte Moment gekommen, sich mit diesem Meisterwerk der deutschen Fußballsong-Geschichte auseinanderzusetzen. 15 Lieder beinhaltet der Tonträger – und so viel sei vorweggenommen: Ein paar der Lieder sind auch heute noch gute Kandidaten für die Warm-Up-Playlist am Fußballabend.

Volltreffer direkt nach Anpfiff
Das Album beginnt mit dem Titelsong Buenos Dias Argentina. Der kommt direkt mit enormem Ohrwurm-Potenzial daher und lädt zum Schunkeln ein. Beim Hören wird man in einen Sonnenstuhl am Strand geschubst, bekommt ein kühles, farbenfrohes Getränk mit Schirmchen in die Hand gedrückt und die Sonne geht malerisch unter. Nach dreieinhalb Minuten bleiben vor allem Fernweh und ein nicht ganz optimal ausgesprochenes „Argentina“ im Kopf.

Daran schließt sich eines der Highlights an. Der Song Elfmeter startet mit der eingesprochenen Aufnahme eines Kommentators. Dadurch stehen wir gefühlt direkt mit am Spielfeldrand. Passend dazu werden wir im Laufe des Songs zu Buhrufen animiert. Dazu läuft eine ulkige Hintergrundmusik und Jürgens singt relatable über die Herausforderung, einen Elfmeter schießen zu müssen: „Vielleicht sollte ich echt einfach sagen ‚Mir ist schlecht und es schmerzt mich mein Zahn‘ und es schießt ein andrer dann.“ Wer kennt’s nicht?

Anschließend wagt sich der Schlagersänger auf eine philosophische Reise: Ähnlich wie sich andere nach dem Sinn der Welt fragen, stelle sich ein Fußballspieler nach jedem Fehlschuss die Frage, wer das Tor so klein gemacht habe. Wenn es im Schlager Punchlines gäbe, wäre dieser Song das Vorzeigebeispiel: Der Refrain ist so animierend, dass man spätestens beim zweiten Mal mitsingen muss.

Udo Jürgens glänzt auf dem Album-Cover im zentralen Mittelfeld.

Stark angefangen, dann etwas nachgelassen
Die folgenden Lieder Es Darf Gelacht Werden, Aber Bitte Mit Sahne in der Fußball-Version und Wer spricht schon vom Verlierer stechen weniger heraus. Jürgens bemerkt zwar richtig „Sport ist immer noch ein Spiel“ und „Es ist verboten im Tor zu witzeln und den Schiedsrichter zu kitzeln“, aber neue Erkenntnisse bleiben aus. Auch der eigentliche Klassiker Aber Bitte Mit Sahne funktioniert in der Fußball-Version weniger gut: „Noch eine Flanke von links – aber bitte mit Sahne. Und ein Einwurf von rechts – aber bitte mit Sahne. Oder darf es vielleicht ein Eigentor sein – aber bitte mit Sahne.“ Zwar wagt Jürgens den Perspektivwechsel und blickt in Wer Spricht Schon Vom Verlierer auf eben diesen, aber für mich ist der Song durch die sentimentale Aufmachung nicht unbedingt Material für eine pfiffige Playlist. Als Rausschmeißer hingegen wäre er eine Option.

Schwingende Stand- äh Tanzbeine und hängende Köpfe
Ein kleiner Star des Albums schlummert auf der Nummer sieben. Wie Lea Schüller wartet der Song auf seinen großen Moment und, wenn seine Zeit gekommen ist, schlägt er eiskalt zu – oder in Jürgens’ Worten: „Da tanzen Mittelstürmer Tango“. Das Lied Das Fußball-Ballett macht Laune, animiert zum Tanzen und besticht mit kreativen Versen. Eine eingängige Melodie trifft auf Zeilen wie „Beim 1:0 rief man ‚Karamba!‘, doch die Spieler tanzen Samba“.

Zum Abschluss der A-Seite folgt eine dramatische Nummer mit dem Titel Das Spiel Ist Aus. Langsam und erzählerisch baut sich der Song auf und schließlich folgt die Botschaft: Man muss sich mit dem Gewinner einer Partie freuen können. Leichter gesagt als getan – davon können wir nach dem Heim-EM-Aus sicherlich alle ein Lied singen.

„Wenn es im Schlager Punchlines gäbe, wäre dieser Song das Vorzeigebeispiel.“

Macho-Songs zum Überspringen
Weiter geht es auf der B-Seite. Er Hält Den Ball ist zwar catchy und macht beim ersten Mal Hören Laune. Wenn man aber auf den Text achtet, schlägt das um. Stereotype einer Spielerfrau, die nur Daumen drückt und den Haushalt schmeißen will, werden reproduziert – loben könne man sie, wenn sie die Freude ihres Mannes verstehe. Wow! Dass im Männer-Fußball die Heteronorm regiere und Fußball generell eine Männer-Domäne sei, das versuchen etliche Anhänger ständig klarzumachen und leider liefert Udo Jürgens mit diesem Lied den Soundtrack dazu.

Das ändert sich beim nächsten Lied noch nicht. Denk An Mich, Kleines Mädchen ist genau der einsame-Wolf-Song, den man sich unter dem Titel vorstellt. Ich finde ihn noch dazu relativ langweilig und kann Melodie, Songaufbau und Refrain nichts abgewinnen.

Alle Mitwirkenden sind vermerkt – sogar der Kommentator Heribert Faßbender, den man auf dem Lied Elfmeter hören kann.

Endspurt
Bevor die Platte mit einer spanischen Version von Buenos Dias Argentina und einer Ode an den ehemaligen Bundestrainer Helmut Schön endet, gibt Udo Jürgens in vier Liedern noch mal seine Entertainment-Skills zum Besten. Wer Hat Schon Solche Beine denkt man sich beispielsweise beim Anblick von David Raum, kurz bevor er eine perfekte Flanke ins Zentrum schlägt. Und auch Udo Jürgens ist von Fußballer-Waden fasziniert und kombiniert seine Beobachtungen mit einer Melodie, die nach Wildem Westen klingt. Der Song belegt nach Wer Hat Das Tor So Klein Gemacht? den zweiten Platz auf dem Ohrwürmer-Treppchen.

Das muntere Mitsingen geht weiter: Der Teufel Hat Den Schnaps Gemacht ist ein echtes Party-Sauflied. Hier zeigt der Mundharmonika-Virtuose Udo Jürgens, was er drauf hat: Nach dem Refrain setzt ein Solo ein, das von einem Bass unterstützt wird und zum Mittanzen auffordert. Der Songtext ist zwar etwas eintönig, zum Mitgrölen aber optimal: „Ich hör’ schon wie der Teufel lacht, wenn wir am Schnaps einmal sterben“.

Hier zeigt der Mundharmonika-Virtuose Udo Jürgens, was er drauf hat.

Wir alle wären Fußballprofis geworden, wäre da nicht diese eine Knieverletzung gewesen, oder? Naja, fast. Aber Jürgens spricht mit Ein Fußballstar Kennt Keinen Schmerz dennoch etwas an, das sicherlich vielen bekannt vorkommt: Im Sport muss man manchmal tapfer sein. Wie gut, dass der Körper eines Fußballstars laut ihm aus Stahl, Eisen und Erz gemacht sei. Ich interpretiere das einfach mal als Hymne für Selbstbewusstsein im Sport.

Wer die Schallplatte kaufte, erhielt einige Schnappschüsse von den Aufnahmen im Tonstudio dazu.

Abschlussbesprechung
Buenos Dias Argentina kann auch fast 50 Jahre später noch sehr viel! Mit seinen lustigen Reimen, packenden Melodien und kreativen Song-Themen bewirbt sich das Album eindeutig für einen Startelf-Platz in den Fußball-Playlisten. „Ich seh’ die Spieler ackern, dann zitter’ ich und schwitz’. Ich raufe mir die Haare und bin total verstört, denn es ist unerhört! Wer hat das Tor so klein gemacht? Wer hat sich das nur ausgedacht? Ich finde das gemein! Wer hat das Tor so klein gemacht? Das ist doch eine Niedertracht, das muss doch echt nicht sein!” – charmanter geht es kaum, finde ich.

Neben dem Reinhören empfehle ich die Videos auf dem Udo-Jürgens-Kanal auf YouTube. Zu Buenos Dias Argentina ist beispielsweise ein Video hochgeladen, das die Mannschaft im Tonstudio zeigt. 70er-Jahre-Frisuren, schicke Retro-Adidas-Outfits und konzentrierte Mimik beim Ablesen des Songtextes. Das schiebt an!

Die Autorin:
Kim Becker (sie/ihr) ist Fan von Eurovision Song Contest, Kreuzworträtseln und Kakao.

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